Einkaufsparadies im Paulusviertel

In jeder Stadt gibt es Straßen, Plätze, Gebäude, Winkel und Ecken die ganz besonders sind. Viele dieser speziellen Orte findet man in den einschlägigen touristischen Hilfestellungen, aber einige nicht. In dieser Rubrik soll es um Orte in Halle gehen, die eine besondere Ausstrahlung besitzen. Einige dieser Orte stehen im Stadtführer, aber die meisten nicht.

Wer Halle kennenlernen will geht zum Händel auf den Markt, besucht die Kultur-Insel oder er klettert auf die Hausmannstürme. Unkonventionellere Charaktere machen vielleicht einen Kneipenmarathon oder fahren in den halleschen Kaufhäusern nicht Rolltreppe sondern Fahrstuhl. Wem das alles zu lange dauert, um sich einen Eindruck von Halle und den Hallensern zu verschaffen, der geht am besten zu Edeka Eckert. Kommen Gäste oder Touristen erstmals dort hin, sind sie zumeist verblüfft über den Supermarkt in der Ludwig Wucherer Straße, der werktags einfach nicht schließen möchte.

Außer sonntags öffnet sich seine automatische Schiebetür jederzeit und gewährt dem willigen Konsumenten auch weit nach Mitternacht noch den Zugang zu Kräuterquark und Kuchenglasur und zahlreichen weiteren Produkten, die in anderen Spätverkaufseinrichtungen meist nur stiefmütterlich bevorratet werden. Ein durchgehend geöffneter Supermarkt, so was gab es bis vor Kurzem noch nicht mal im kauflustigen Berlin! In Halle hat man sich jedoch schon daran gewöhnt und ist auch etwas stolz. Mit dem staunenden Besuch zieht man Freitagnacht noch zum Wochenendeinkauf los und tut so als wäre das völlig normal. Und was für ein schönes Shoppingerlebnis man seinem Gast bereiten kann. Zur Geisterstunde cruist man entspannt mit dem Einkaufswagen durch leere Gänge und der nette Nachtkassierer wartet schon ungeduldig, wenn man zum Bezahlen in die Boxengasse einbiegt.

Doch ist es nicht allein die Möglichkeit nächtens mit Randexistenzen und Nachtgetier vorm Kühlregal über Molkereiprodukte zu streiten, die diesen Ort so einzigartig macht. Viel wesentlicher für den Charakter dieser speziellen Bedürfnisanstalt ist die Lage des Geschäfts am Rande des hassgeliebten Paulusviertels. Das Wohnquartier zeichnet sich durch eine noch nicht vollständig weggentrifizierte, bunt gemischte Bewohnerschaft aus. Menschen, Tiere, Sensationen – all das trifft man im Paulus-Edeka beim täglichen Einkauf: Familien mit märchenhaft vielen Kindern, die sich vorm Zeitungsregal streiten, Singles, komplett in Jack-Wolfskin-Uniform, die ihre Bio-Molke mit Karte bezahlen, anarchische Hundebesitzer, deren Mantra „Der macht nüscht!“ durch die Gänge schallt … Das alles verbindet sich bei Edeka Eckert mit der eher mürrischen Grundstimmung des gewöhnlichen Hallensers zu einer Melange aus Tristesse und Liebenswürdigkeit, die man wohl als typisch hallisch beschreiben muss. Wer sich mal an einem späten Freitagnachmittag oder besser noch an einem Samstagvormittag dort in die Kassenschlange stellt, der wird diese ganz spezielle Atmosphäre spüren.

Das alles hört sich unangenehmer an, als es in Wirklichkeit ist. Mit den Kunden im Rund-um-die-Uhr-Edeka, lässt es sich nämlich für gewöhnlich prima auskommen. Hat man nur eine Pampelmuse oder eine Dose Katzenfutter im Einkaufskorb wird man gern an der Kasse vorgelassen. Selbst wenn man dann umständlich mit Karte zahlt, wird man nicht gemobbt, sondern nur halletypisch angegrummelt. Die Kassiererinnen sind auch toll und greifen schon mal beratend ein, wenn sie merken, dass man viel zu wenig Erdbeeren für den ebenfalls im Einkaufswagen liegenden Obstboden eingepackt hat. Und an lauen Sommerabenden sind die Horden jugendlicher Trinkanfänger, die sich vorm Eingang des Ladens sammeln, ein guter Ersatz für das dröge Fernsehprogramm. Am besten einfach mal daneben stehenbleiben und lauschen. So bekommt man schon mal ein gutes Gefühl für die Zukunft der Stadt.

ÖPNV: Tram 6,12, Haltestelle Willy-Lohmann-Straße
Öffnungszeiten: Der Markt ist 24 h geöffnet. Von Montag 7:00 Uhr bis Samstag 20:00 Uhr.