In jeder Stadt gibt es Orte, Plätze, Straßen, Gebäude, die besonders sind. Die meisten dieser speziellen Orte findet man in Stadtführern oder anderen touristischen Hilfestellungen, aber einige nicht. In dieser Rubrik soll es um hallesche Orte gehen, die eine besondere Ausstrahlung besitzen. Sei es, dass sie eine halletypische Aura verbreiten oder einfach nur die Sinne anregen. Einige von ihnen stehen im Stadtführer, aber die meisten nicht.
Die Gegend rund um das Landeskundemuseum als gutbürgerlich zu beschreiben ist sicher nicht ganz falsch. Randständige Existenzen fallen hier eher auf als ein neues SUV. Vielleicht liegt es daran, dass gleich mehrere Personen auf meine Frage nach dem Haus Richard-Wagner-/Ecke Mozartstraße antworten: Das ist doch da, wo die Verrückten wohnen. Verunsichert mache ich mich auf den Weg und finde schließlich im Vorgarten besagten Hauses, verborgen hinter Strauchwerk und abgestellten Fahrrädern, den Zugang zu einem Kleinod der Selbstbestimmung und der Kreativität. Von Verrückten jedoch keine Spur.
Gleich neben dem Hauseingang führt eine weiß getünchte Tür ins Souterrain des Gebäudes. An der Tür ein mit Panzertape befestigter Computerausdruck: Terminal 21, Basislager. Über der Tür flattert eine liebevoll gestaltete Fahne: offenes Atelier. Hier unten im Tiefparterre der Richard-Wagner-Straße 11 stoßen offensichtlich 2 Welten aufeinander. Das kreative Chaos einer offenen Textilwerkstatt trifft auf das anarchische Konzept eines Hackspaces. Das Atelier und der Hackerverein verfügen über menschliche Schnittstellen und fanden so zu einer räumlichen Symbiose, die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen mag, letztlich aber von Pragmatismus und der gemeinsamen Idee des Do It Yourself getragen wird. Getreu dem Motto wurden die Räumlichkeiten natürlich selbst renoviert und gestaltet.
Die Räume des Textil-Ateliers liegen zur Straße hin und sind mit ihren großen Fenstern viel heller als man das in dieser Lage erwartet. Eine voll ausgestattete Mode-Werkstatt wartet dort auf Besuch von Hobbyschneiderinnen und heimlichen Modedesignern. Egal ob Laie oder Fortgeschrittener, die beiden Betreiberinnen Janine Jonneg (sidhefilz) und Rebecca Hübsch (rhabbit) bieten neben professionellen Gästenähmaschinen auch Rat und Tat für alle Näh-, Filz- und Siebdruckfreunde. Auch diverse Kurse werden angeboten. Nur anmelden soll man sich doch bitte vorher, damit kein Chaos entsteht, und jemand schon mal Tee aufsetzen kann, in der kleinen Teeküche im hinteren Bereich des Ateliers.
Noch weiter hinten, in den dunklen Gefilden dieser Örtlichkeit, sirren die Leitungen, stapeln sich ausgeschlachtete Computerleichen in Kellerregalen, warten Lötkolben zwischen Monitoren und Tastaturen auf Arbeit und ein großer Konferenztisch auf frische Ideen und Kommunikation. Die Leute von Terminal21 e.V. sind schon länger in Halle aktiv und haben nun in den Räumlichkeiten ihr Basislager aufgeschlagen. Hier netzwerken und experimentieren sie gemeinsam, verbreiten den Open-Source-Gedanken, bieten ihr technisches Know-How bei der Umsetzung von Projekten an oder erklären dem Lernwilligen, warum Linux ein Pinguin ist und wie er funktioniert. Klassische Computernerds waren sie nie, eher schon digitale Rebellen, die sich nicht mit vorgegebenen Mustern abfinden wollen. Und so schließt sich der Kreis zum Atelier, wo neue Muster egal ob Schnitt oder Druck natürlich immer gern gesehen sind.
Am Ende meines Besuchs vor Ort wurde ich dann auch noch aufgeklärt über die Verrückten. Die Bewohner des Hauses seien zum großen Teil Kreative und Studenten, durchaus auch extrovertierte. Das falle dann schon mal auf. Zum Beispiel, wenn eine Bewohnerin nicht mehr benötigte Garderobe frisch gebügelt und dekorativ in den Vorgarten hängt, zum Mitnehmen. Da schmunzeln die Nachbarn und die SUV-Fahrer wundern sich.
[wpmaps company=“Offenes Atelier und Hackspace“ street=“R.-Wagner-Str. 11″ city=“Halle“]ÖPNV: Tram 7 Haltestelle Landesmuseum für Vorgeschichte